Nordkirche diskriminiert 81.000 Beschäftigte
(3.2019) In Nordfriesland und Dithmarschen befindet sich jeder zweite Kindergarten in kirchlicher Trägerschaft1. Zum Vergleich: In Kiel und Hamburg ist es gerade einmal jeder fünfte. Nordfriesland und Dithmarschen, aber auch das Herzogtum Lauenburg, Steinburg sowie Ostholstein verfügen damit über die größte Dichte von konfessionsgebundenen Kindergärten in Schleswig-Holstein. – Nun ist es so, dass Beschäftigungsverhältnisse in kirchlichen Einrichtungen eben keine gewöhnlichen Arbeitsverhältnisse sind. Hier gilt ein spezielles kirchliches Arbeitsrecht. Es stützt sich auf Artikel 140 des Grundgesetzes und dem darin enthaltenen Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung. Ferner sind die Kirchen ausgenommen vom allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, der Beschäftigte vor Benachteiligung am Arbeitsplatz schützt. Besagte Rechtslage ermöglicht es den Kirchen, ihre eigenen Kirchenmitglieder bei der Stellenvergabe zu bevorzugen. Das führt zu gesellschaftlichen Verzerrungen; denn immer weniger Menschen gehören den Kirchen an. Gleichzeitig befinden sich bundesweit 60 % aller sozialen Berufe in kirchlicher Trägerschaft. Wer nun in Schleswig-Holstein einen sozialen Beruf ergreift und insbesondere in seiner ländlichen Heimatregion arbeiten möchte, der wird sich oftmals eben auch in eine Kirchenmitgliedschaft hineingedrängt sehen. Allein in den Kitas, die in Schleswig-Holstein von der Nordkirche betrieben werden, arbeiten derzeit 6.616 pädagogische Beschäftigte2, für die die Frage nach der richtigen Konfession zu einer Existenzfrage werden kann. Gleichzeitig bleiben Nichtchristen, die in ihrer Heimat leben und für soziale Berufe qualifiziert sind, auf bis zu 50 % des lokalen Arbeitsmarktes benachteiligt, und zwar einzig deshalb, weil sie nicht die Religionszugehörigkeit eines potenziellen, aber marktbeherrschenden Arbeitgebers teilen. Angesichts dessen lässt sich auch dem Fachkräftemangel kaum begegnen. Das Problem ist die Sonderstellung der kirchlichen Träger im Arbeitsrecht.
Eigentlich dürften die Kirchen ihre Religionszugehörigkeit nur für den „verkündigungsnahen Bereich“ verlangen. Doch auch bei Beschäftigungs-verhältnissen, die fernab jedweder Verkündigung stehen, bittet die Nordkirche bereits um eine „freiwillige“ Auskunft zur Konfession, um dann gegebenenfalls eine Bewerberauswahl nach Religionszugehörigkeit treffen zu können. Im August 2018 zeigte sich das beispielhaft an einer Stellenausschreibung der Husumer Horizonte. Damals wurde von besagter sozialer Einrichtung eine Reinigungskraft als Krankheitsvertretung gesucht. Die Bewerberinnen und Bewerber wurden, was generell Praxis ist, dazu angehalten, bereits im Bewerbungsschreiben über ihre konfessionelle Bindung zu informieren. In anderen Branchen wäre das ein Unding; denn hier wird die Religionszugehörigkeit zum Kriterium für die Vergabe eines Arbeitsplatzes.
Insbesondere bei Dauerbeschäftigungsverhältnissen wird die Kirchenmitgliedschaft dann aber zur Pflichtvoraussetzung für eine Anstellung. Das gilt bereits für IT-Angestellte und Verwaltungsmitarbeiter, aber eben auch für Erzieherinnen und Erzieher. Dabei ist schon anhand des Wirkens von Büroangestellten und Reinigungskräften, aber auch anhand der Tätigkeit des Pflege- und Betreuungspersonals für niemanden praktisch zu erkennen, wer welcher Konfession angehört. Sie alle arbeiten letztlich aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation. Die Einzigen, für die eine Konfession bei der Berufsausübung wirklich eine Rolle spielt, sind die PastorInnen und Pfarrer selbst. Das ist der verkündigungsnahe Bereich.
Wird man als konfessionsfreier oder andersgläubiger Mensch dennoch von der Kirche angestellt, läuft man Gefahr, das ganze Berufsleben lang derart benachteiligt zu werden; denn auch bei Beförderungs- und Weiterqualifizierungsmaßnahmen werden die eingetragenen Mitglieder der eigenen Religion bevorzugt. Dass da nicht alle Menschen in die Kirche eintreten oder Mitglied bleiben, weil sie gläubig sind, ergibt sich von selbst. Die Menschen wollen schlichtweg arbeiten. Es geht um Existenz.
Auch deshalb pflegen viele Gläubige ihre Kirchenmitgliedschaft lediglich auf dem Papier. Im Jahr 2016 ergab eine Umfrage unter katholischen wie evangelischen Kirchenmitgliedern, dass ganze 82 % der eingetragenen Christen sich als „nicht praktizierend“ bezeichnen. Am 14.09.2018 war auf einem Vortrag im Christian Jensen Kolleg in Breklum gar die Rede von 90 % der Kirchenmitglieder, die sich für die Angebote der Kirche nicht mehr interessieren.
Ein kirchlicher Kontext ist vielerorts nur noch aufgesetzt. Er hält sich aufgrund von Gewohnheit, einem Mangel an Veränderungswillen und insbesondere aufgrund antiquierter Gesetze. Das geht einher mit genauso antiquierten Moralvorstellungen, die über das kirchliche Arbeitsrecht dann sogar das Privatleben der Kirchenangestellten bestimmen. Auch das wäre in anderen Branchen undenkbar. Insbesondere die katholische Kirche kündigt ihren Mitarbeitern, wenn diese sich scheiden lassen.
Innerhalb der letzten sechs Monate hat das Bundesarbeitsgericht dazu gleich zweimal die Rechte von Betroffenen gestärkt. In einem Fall wurde zugunsten eines Chefarztes entschieden, dem zuvor von einem katholischen Kranken-hausträger gekündigt worden war, weil er zum zweiten Mal geheiratet hatte. In einem anderen Fall wurde einer Sozialpädagogin Recht gegeben, die, weil sie konfessionslos lebt, von einem evangelischen Träger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Während das erste Urteil in letzter Instanz gefallen ist, hat die Diakonie, was das zweite Urteil anbelangt, noch eine Revision beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. – Einen weiteren erwähnenswerten Fall gab es 2012 in einer katholischen Kita im nordrhein-westfälischen Königswinter. Hier wurde eine frisch geschiedene Erzieherin entlassen. Allerdings erfolgte der Widerstand auf anderem Weg als über die Gerichte. Die Eltern der betroffenen Kindergartenkinder hatten gegen die Entlassung der Erzieherin protestiert, worauf die Stadt dann ihrerseits den katholischen Träger aus der Kinderbetreuung entließ. Auch das ist eine Möglichkeit, mit solchen Diskriminierungen umzugehen.
Was den letztgenannten Fall anbelangt, so empörte sich die Elternschaft noch an einem weiteren Aspekt; denn die Kirchen bestimmen in ihren Einrichtungen zwar die Regeln, bezahlt werden diese Einrichtungen aber aus öffentlichen Mitteln. Auch von den Kosten einer Kita, die sich in privater Trägerschaft befindet, werden in der Regel 80 bis 95 % von Kommunen und Landkreisen getragen. Besagte Einrichtungen werden also von allen Steuerzahlern gleichermaßen finanziert. Und diese Steuerzahler haben gesamtgesellschaftlich kein Interesse daran, dass kompetente Mitarbeiter gar nicht erst eingeladen, vergrault oder entlassen werden. Die Bürgerinnen und Bürger haben einzig ein Interesse daran, dass ihre Kinder ordentlich betreut werden. Das kirchliche Arbeitsrecht steht diesem Wunsch entgegen.
Auch die Nordkirche weiß, dass sie in Schleswig-Holstein die unattraktivste Arbeitgeberin im sozialen Bereich ist. Das geht an mehreren Stellen aus dem PEPP-Bericht2 der eigenen Institutions-beratung hervor. „Aktuell hat die Nordkirche bei vielen ihrer Beschäftigten ein Glaubwürdigkeitsproblem“, bekennt der Kirchenleitungsausschuss. Dort heißt es weiter: Die Beschäftigten „akzeptieren die Beschränkungen ihrer Freiheit nicht, bekämpfen sie mitunter intensiv oder unterlaufen sie. Leitung wird prinzipiell in Frage gestellt. In professionellen Rollen zu denken und zu handeln stellt für viele kirchliche Beschäftigte aller Berufsgruppen immer noch eine Zumutung dar, die individuelles Verhalten eingrenzt.“ – Dass sich die eigenen Beschäftigten vielleicht zurecht gegen unhaltbare Zustände wehren, kommt dem Kirchenleitungsausschuss gar nicht in den Sinn. Allerdings sind die Angestellten durch das Kirchenrecht in ihren Möglichkeiten zur Verbesserung der Verhältnisse beschnitten, sodass die Kirchenleitung die Kritik ihrer Beschäftigten lediglich als „Gift“ (sic!) abzutun vermag, welches dem Ruf der Kirche schadet. Der Leitungsausschuss der Nordkirche fordert deshalb, dass die Angestellten mit ihren Ambivalenzen zu leben haben, und setzt auf Weiterbildungen in „organisationskonformem“ Verhalten.
Ist man dennoch als überzeugter Christ bei dem kirchlichen Träger seiner Wahl angestellt, gelten lediglich solche systematischen Benachteiligungen, die sich durch das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ergeben. Laut Ver.di sind die Angestellten eines kirchlichen Trägers „im wahrsten Sinne des Wortes Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zweiter Klasse, denn das Betriebsverfassungsgesetz und Tarifverträge zählen hier nicht.“
So arbeiten allein in den schleswig-holsteinischen Kindertagesstätten insgesamt 8.226 Menschen je nach Berufsfeld zu den beschriebenen Konditionen. Darunter befinden sich 6.616 pädagogische Angestellte. Über 81.000 Menschen (die meisten davon in Schleswig-Holstein) sind insgesamt bei der Nordkirche beschäftigt. Bundesweit sind es in EKD und katholischer Kirche 1.2 Millionen.
// Jan-Christian Petersen
(Mitglied der Humanistischen Initiatve S-H)
Fußnoten
1 Auskunft vom Statistikamt Nord, Stand vom 01.03.2018 www.statistik-nord.de
2 Impulse zur Gestaltung von Personalentwicklung und Personalplanung in der Nordkirche, 2. durchgesehene Fassung vom 26.10.2018; zuletzt abgerufen am 10.04.2019.
Credits / Bildquellenangaben in der Reihenfolge des Erscheinens
„Kindergarden“ by Anabella Shemer | Lizenz
„Children Playing“ by Pedro Ribeiro Simões | Lizenz
„Playgrond“ by Nels Olsen | Lizenz
„Bundesarbeitsgericht“ by Ralf Roletschek | Quelle und Lizenz
„Banksy in Boston: F̶O̶L̶L̶O̶W̶ ̶Y̶O̶U̶R̶ ̶D̶R̶E̶A̶M̶S̶ CANCELLED“ by Chris Devers | Lizenz
„Playing with Lego“ by Ricky Willis | Lizenz